Interview mit Renate Tuszynski, Archivverwalterin Studienfinanzierung, und Santino Calanni, stellvertretender Leiter Studienfinanzierung – beide Kölner Studierendenwerk

E-Akte sagt roten Aktendeckeln ade

Renate Tuszynski   und Santino Calanni   in ihren Büros über zukünftige Archivverwaltung mittels BAföG-E-Akte.

Interview: Cornelia Gerecke | Text: Armin Himmelrath | Fotos: Cornelia Gerecke, Matthias Klegraf

Wohin mit aktuellen und alten BAföG-Akten? Renate Tuszynski und Santino Calanni haben darauf ganz unterschiedliche Antworten – und ziehen hinter den Kulissen des Studierendenwerks trotzdem an einem Strang.

Herr Calanni, seit sieben Jahren arbeiten Sie in der Studienfinanzierung – und haben Großes vor. Was genau?

Calanni: Wir entwickeln mit einem Projektteam die E-Akte, das heißt: Wir digitalisieren die BAföG-Akte. Das ist kein Schnellschuss, sondern ein Großprojekt für ein paar Jahre. Es dauert einfach, bis so etwas fehlerfrei läuft. 2021 wollen wir mit der Umstellung anfangen.

 

Wo liegt der Vorteil der E-Akte im Vergleich zu den vielen roten Aktendeckeln?

Calanni: Vor allem darin, dass mehrere Leute auf eine E-Akte ortsunabhängig zugreifen können. Wir bekommen immer mehr Unterlagen per E-Mail oder in digitaler Form von den Studierenden zugeschickt – und bisher müssen wir die hier im Büro ausdrucken, um sie dann in Papierform in unsere roten Aktendeckel zu packen.

 

Für die dann irgendwann Sie, Frau Tuszynski, verantwortlich sind …

Tuszynski: Ja, wenn der Sachbearbeiter oder die Sachbearbeiterin die Akte abschließt. Die geht dann zum/zur Hauptsachbearbeiter*in. Der gibt sie nach einer Überprüfung frei. Und dann kommen die Sachen zu mir runter. Ich nehme sie mir dann einzeln vor und überprüfe nochmal alles am PC in unserem Archivprogramm.

 

Was genau prüfen Sie bei den Akten?

Tuszynski: Ob die Akten korrekt abgeschlossen sind und schon den Archivvermerk haben. Dann sortiere ich sie grob nach Jahrgängen vor – und wenn genug zusammengekommen sind und es sich lohnt, werden sie in den Rollgitterboxen gestapelt. Und dann kommt der Fahrer mit dem großen LKW von der Mensa und bringt sie mir nach Hürth-Efferen in unser großes Lager.

 

Klingt nach einer ordentlichen Lieferung jedes Mal.

Tuszynski: Es kommt immer darauf an, wie viele Abschlüsse gerade gemacht wurden, und auch auf die Dicke der Akten. 

Durchschnittlich sind das zwischen 500 und 700 Akten pro Monat. 

 

Das ist ja unglaublich viel Papier – und nicht besonders nachhaltig, oder?

Calanni: Das stimmt, aber leider ist das aktuell nicht anders möglich. Ganz abgesehen davon, dass – wie erwähnt – immer nur ein*e Sachbearbeiter*in, Teamleiter*in, Abteilungsleiter*in oder Unterhaltssachbearbeiter*in die Akte einsehen kann. Wenn zwei Personen gleichzeitig an einem Vorgang arbeiten wollen, wird es kompliziert.

„Wir packen das jetzt mal an. Es genügt nicht, sich darüber zu beschweren, was andere nicht machen, wenn man selber nichts tut.‟
Santino Calanni

Passiert das oft, dass mehrere Personen gleichzeitig an ein und derselben Akte arbeiten wollen?

Calanni: Das kommt schon vor, etwa dann, wenn die Eltern eines BAföG-Empfängers den Unterhalt verwehren. Dann kann man im Rahmen eines Vorausleistungsverfahrens diesen Unterhaltsanspruch an das Land NRW abtreten. Das Land geht dann in Ersatzleistung, damit die Studierenden ihr Geld bekommen und nicht warten müssen. Danach versucht das Land, sich über das Familiengericht den Unterhalt von den Eltern wiederzuholen. Dann kann es durchaus sein, dass zeitgleich mehrere Personen an einer Akte arbeiten müssen. Und das bedeutet bisher immer, dass wir die Akte teils kopieren oder splitten müssen: Sie wird dann aufgeteilt in verschiedene Sachbereiche  

 

Noch mehr Papier und Ordner!

Calanni: Genau. Das Ganze könnte man sich sparen, wenn man eine elektronische Akte hätte, denn dann könnten mehrere darauf zugreifen.

 

Wie dick ist denn Ihre dickste Akte?

Tuszynski: Da ist ein Teil, das mit mehreren Gummis und Bändern zusammengehalten wird. 30 Zentimeter dick, schätze ich, das sind bestimmt sechs dicke Akten zusammen. Da sammelt sich einfach viel an – je nachdem, was da mit der Schülerakte, der Auslandsakte und so weiter gelaufen ist. Dadurch, dass viele Studierende Bachelor und Master studieren, gibt es für eine Person mindestens zwei Akten. Wir stellen ohnehin fest, dass die Akten immer dicker werden. Wir mussten ja schon bei anderen Abteilungen Klinken putzen gehen, damit wir mehr Platz bekommen. Also, seit ich hier angefangen habe, haben sich die Akten fast verdoppelt. 

 

Wie behalten Sie da den Überblick?

Tuszynski: Man muss halt sehr genau und akkurat arbeiten, und das ist genau mein Fall. Man darf da nicht in Routine verfallen, sondern muss sich wirklich immer konzentrieren. Denn Akten, die falsch abgelegt werden, die findet man kaum noch wieder – höchstens durch Zufall. Aber da bin ich auch ein bisschen stolz: In meinen zehn Jahren sind vielleicht drei Akten nicht mehr aufgetaucht. Aber diese Arbeit liegt mir, ich bin eben ein Pingel.

Calanni: Genauigkeit brauchen wir auch in Zukunft – aber dass eine Akte im falschen Regal landet, das gibt es nicht mehr, wenn wir die E-Akte haben. Dann kann man auch später viel leichter wieder darauf zurückgreifen – vorausgesetzt die Fördernummer ist korrekt eingegeben.

 

Wie oft kommt das denn vor, dass Herrn Calanni oder jemand anderem aus der Abteilung einfällt: Jetzt brauch ich noch mal die Akte von Herrn Müller oder Frau Meier, da müssen wir nochmal was nachschauen?

Tuszynski: Wöchentlich. Manchmal, wenn nicht viel ist, dann alle zwei Wochen, aber eigentlich regelmäßig wöchentlich. Es ist Teil der Routine, dass die Sachbearbeiter*innen immer mal wieder ältere Akten brauchen. Ich bekomme dann eine Liste, „Angeforderte Akten‟ heißt die, und dann fahre ich raus nach Hürth-Efferen und hole die aus dem Keller.

 

Im Sommer ist das bestimmt angenehm …

Tuszynski: Ja! Da unten ist es kühl, da kann man wirklich gut arbeiten. Aber ansonsten ist es halt ein Keller: Man darf keine Spinnen-Phobie haben. Die laufen einem da nämlich auch über die Hände.

„Ich bin eben ein Pingel.‟
Renate Tuszynski

Wie lange archivieren Sie die Akten?

Tuszynski: Sechs Jahre. Danach werden sie vernichtet, einmal im Jahr kommt eine Spezialfirma. Dieses Jahr wären also die 2014er-Akten dran.

 

Diese ganze Arbeit würde mit der E-Akte ja wegfallen: Bearbeiten, archivieren, wieder herausholen, löschen – alles das geht dann am Bildschirm. Fallen dann Arbeitsstellen wie die im Archiv oder die von Rudi Heuser in der Poststelle weg, der viel beim Aktentransport hilft?

Calanni: Das glaube ich nicht, weil bestimmte Sachen immer noch im Haus hin- und hergebracht werden müssen, da mache ich mir keine Sorgen. Was richtig ist: Die körperliche Bewegung könnte weniger werden. Aber das Arbeitsaufkommen an sich auf keinen Fall, weil ja die Eingangspost – auch wenn sie digital ankommt – verteilt werden muss. 

Tuszynski: Dass der Arbeitsplatz im Archiv wegrationalisiert wird, glaube ich auch nicht. Es werden andere Arbeiten anfallen, der Job wird sich ändern. Aber wohl erst, wenn ich in Rente bin …

Calanni: Das schätze ich auch so ein: Es werden durch die E-Akte als solche keine Arbeitsplätze wegfallen. Und weil wir die Akten sechs Jahre aufbewahren müssen, gibt es also auch noch bis mindestens 2028 das Papierarchiv. Aber es stimmt, die Stellen werden sich verändern und auch die Tätigkeiten.

 

Veränderungen werfen ja auch immer Fragen auf. Wie reagieren die Kolleg*innen auf die Pläne zur E-Akte?

Calanni: Wir sind etwa 50 Mitarbeitende. Es gibt natürlich das ganze Spektrum: von den ganz Skeptischen bis zu den begeisterten Befürworter*innen. Ich glaube, der Großteil der Belegschaft ist nicht abgeneigt gegenüber der E-Akte, auch wenn niemand glaubt, dass das ein Allheilmittel ist. Vielleicht kann man es so formulieren: Es gibt eine gewisse Grundskepsis, aber auch eine breite Vorfreude auf die E-Akte. Ich zum Beispiel arbeite sehr gern elektronisch und digital – vor allem ortsunabhängig. Ich persönlich verbinde auch die Hoffnung damit, dass Homeoffice und mobiles Arbeiten dadurch leichter werden. Es wäre schon eine große Zeitersparnis, wenn man nicht zwei Stunden am Tag für den Weg zur Arbeit bräuchte. Und es ist natürlich viel nachhaltiger, wenn die Autos dadurch häufiger zuhause stehen bleiben. 

 

Dann haben Sie ja durch die Coronakrise richtig Rückenwind bekommen.

Calanni: Ja, ich kenne tatsächlich mehrere Kolleg*innen, die sehr skeptisch gegenüber dem Homeoffice waren. Seit sie das jetzt durch Corona ausprobieren mussten, sind sie ganz begeistert davon. Und der Trend ist natürlich klar: Überall wird von Digitalisierung gesprochen – nur die Studienfinanzierung wird von allen Ämtern immer hintenangestellt und stiefmütterlich behandelt. Da habe ich irgendwann gesagt: Wir packen das jetzt mal an. Es genügt nicht, sich darüber zu beschweren, was andere nicht machen, wenn man selber nichts tut.

 

Das heißt, Ihre Mottos sind „Wir machen das!‟ und „Wir schaffen das!‟

Calanni: Genau. Man muss natürlich das Bundesministerium informieren, die Landes- und die Bezirksebene. Es gibt da ja gewisse Vorschriften: Diese Akten gehen auch an andere Studierendenwerke oder an Gerichte, und es gibt datenschutzrechtliche Regeln, die wir natürlich beachten müssen. Als Dateiformat verwenden wir PDF: Das dürfte uns mit hoher Wahrscheinlichkeit die Kommunikation mit allen anderen E-Akten-Formen erlauben. 

 

Und was haben die Studierenden von der E-Akte?

Calanni: Die Studierenden müssen dann nicht mehr persönlich die ganzen Formblätter hier vorbeibringen oder per Post zuschicken. Das ganze Verfahren geht schneller, weil nichts mehr ausgedruckt werden muss. Und wir denken über Tools nach für die Kommunikation nach außen, wie zum Beispiel eine Ampel für den Status des Antrags.

 

Wenn Sie demnächst in den Vorruhestand gehen – werden Sie dann die Akten vermissen? Den Keller? Oder die Spinnen?

Tuszynski: Die Spinnen eher nicht. Und was die Akten angeht: Ich bin immer ansprechbar, das habe ich schon gesagt, und meinen Nachfolger werde ich auch so gut wie möglich einarbeiten. Damit erstmal gewährleistet ist, dass da einer ist, der Bescheid weiß. Ansonsten plane ich meine Zukunft eher außerhalb des Kellers: Wir haben ein Segelboot. Mein Mann und ich fahren damit gerne die belgische Küste entlang nach Frankreich und vielleicht mal Richtung Mittelmeer. Ganz entspannt. Und da, wo es schön ist, bleibt man einfach etwas länger.

Santino Calanni, stellvertretender Leiter der Studienfinanzierung, ist schon seit seiner Ausbildung zum Bürokaufmann, die am 1. November 1997 startete, im Werk dabei – und würde das Aktenarchiv gerne ganz ganz anders organisieren. Trotzdem sind die beiden keine Konkurrenten.

Renate Tuszynski ist seit zehn Jahren beim Werk, lernte Bürokauffrau und kümmert sich um die Archivverwaltung, und zwar um Zehntausende alter BAföG-Akten, die in zwei Wohnheimkellern in unserem Studierendendorf in Hürth-Efferen lagern.

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