Interview Beratung
Wir machen Mut
Zum Interview nahm Marina Blecher im Beratungszimmer von Christian Gärtner Platz. Sie unterhielten sich über finanzielle Nöte und welche Regeln beim Jobben einzuhalten sind.
Fragen und Text: Cornelia Gerecke und Marina Blecher | Fotos: Martina Goyert
Bei ihrem ersten Werksauftrag berichtete Marina Blecher, die im sechsten Semester Online-Redaktion studiert, über einen BKSA-Workshop. Sie war überrascht, wie vielfältig das Angebot der Beratungsstelle ist. In der 21. Sozialerhebung wurden viele Fakten aus dem Arbeitsfeld der Sozialberatung veröffentlicht. Welche Themen am häufigsten vorkommen, verrät Christian Gärtner der „Campusreporterin“ Marina Blecher.
Blecher: Mit welchen Anliegen kommen die Studierenden am häufigsten zu Ihnen in die Sozialberatung?
Gärtner: Insgesamt haben nach der 21. Sozialerhebung 66 % der Studierenden Beratungsbedarf zu Finanzierung, Studium oder einem persönlichen Aspekt.
Am häufigsten sind finanzielle Notlagen, d.h., dass jemand aus unterschiedlichen Gründen wenig Geld hat. Ein Beispiel: Das Geld vom Nebenjob fällt plötzlich weg, dann helfen wir mit dem Überbrückungsdarlehen. Ein weiteres Themenfeld sind Probleme, die sich aus verzögerten Studienleistungen ergeben. Wie finanziere ich mich dann weiter, wenn ich kein BAföG mehr bekomme? Oder jemand ist krank und versucht beim BAföG-Amt eine Verlängerung der Förderdauer zu bekommen. Oder jemand hat eine psychische Krise, ist im vierten Semester, hat schon 50 Punkte erreicht, aber es reicht nicht, um den Zwischennachweis einreichen zu können. In solchen Fällen geben wir Hinweise zu den Nachweisen, die benötigt werden. Wir machen Mut, dass die Person das hinbekommen kann.
Blecher: Und wie machen Sie Studierenden mit Kind Mut?
Gärtner: Immerhin sind 5 % der Studierenden bereits Eltern von durchschnittlich 1,6 Kindern. Wer von ihnen gut informiert ist, hat es einfacher, Kind und Studium unter einen Hut zu bringen. Oft studieren beide Elternteile. Da gibt es einige sozialrechtliche Aspekte: Wie finanzieren wir das? Wo können wir Elterngeld beantragen? Gibt es beim BAföG noch mehr Geld, wenn Kinder kommen? Ja, und der Aspekt Mutterschutz, der den Studierenden ebenfalls zusteht, der ist ganz wichtig. Wenn jemand BAföG bekommt, dann hat die Person mehrere Möglichkeiten. Wenn sie Elternzeit nimmt und ein Urlaubssemester macht, dann wird das BAföG unterbrochen. Sie können sich dann über Arbeitslosengeld II finanzieren. Möglichkeit 2: Sie versuchen weiter zu studieren und BAföG zu beziehen, dann gibt es einen Kinderzuschlag von zurzeit 140 Euro und der Freibetrag für das Jobben erhöht sich. Außerdem ist wichtig, wie es mit der Kinderbetreuung aussieht, wenn man weiterstudiert.
Blecher: Haben Sie Tipps, wie studentische Eltern in Köln ihre Kinder betreuen lassen können?
Gärtner: Bis zum ersten Jahr kümmern sie sich meistens selbst um die Kinder. Oft helfen die Großeltern und man fängt Stück für Stück mit der Kinderbetreuung an. An der Universität zu Köln gibt es sogar ein flexibles Kinderbetreuungs-Angebot des Dual Career & Family Support. Wenn mal eine Stunde fehlt, können die Eltern das Kind dort in die Betreuung geben. Das Werk hat aber an vier Hochschulstandorten auch eigene Kitas für insgesamt 65 Kinder ausschließlich von Studierenden. Das spart auf jeden Fall Wegzeiten.
Blecher: Im Studium begegnen mir viele internationale Studierende. Kommen die ebenfalls zu Ihnen in die Sprechstunde?
Gärtner: Wenn es um finanzielle Notlagen geht, haben wir einen hohen Anteil an internationalen Studierenden. Viele davon bekommen keine sozialen Leistungen, unter anderem auch kein BAföG. Sie erhalten oft nur eine minimale Absicherung von den Eltern, die nicht ausreicht. Dann müssen sie jobben, aber sie haben Prüfungsphasen, in denen sie nicht viel arbeiten können. Es gibt generell sehr viele Studierende, die einfach knapp bei Kasse sind und ähnliche Probleme damit haben, dass die Finanzierung nicht durchgängig ist und man das überbrücken muss.
Blecher: Kann die finanzielle Not auch dazu führen, dass das Studium unter- oder gar abgebrochen wird?
Gärtner: Ja, 17 % der Kölner Studierenden unterbrechen ihr Studium für ein Semester oder länger, 20 % davon begründen die Unterbrechung mit finanziellen Problemen, bundesweit sind es 16 %. Am Sinn des Studiums zweifeln sogar 31 % der Studierenden in Köln. In ganz Deutschland sind es 23 %.
Die Studierenden, die zu uns in die Sozialberatung kommen, wollen weiterstudieren, denn sie erkundigen sich nach möglichen Lösungen und stellen nicht die Entscheidungsfrage: Soll ich weiterstudieren? Wenn doch, dann gehen wir darauf ein und verweisen an die psychologische Beratung hier im Werk oder an die Zentralen Studienberatungen der Hochschulen.
Blecher: Welche finanzielle Unterstützung können Sie als Sozialberatung anbieten?
Gärtner: Bei uns wird häufig nach dem Kurzdarlehen gefragt. Das ist eine sehr niederschwellige Hilfe von 250 Euro, wenn das Geld für einen wichtigen Anlass knapp ist. Außerdem gibt es einen Nothilfefonds für unvorhergesehene Notfälle. Einem ausländischen Studenten wurden der Laptop und seine Ausweispapiere gestohlen. Wir haben ihm Geld gegeben, damit er die Miete zahlen und zur Botschaft fahren kann. Darüber hinaus gibt es den Studierendenförderungsfonds von der Uni. Wenn dies nicht mehr möglich ist, dann kann eventuell das Werk einspringen. Damit muss man gewissenhaft umgehen, weil das Geld zu einem Teil selbst von Studierenden kommt. Nicht zu vergessen sind die Gesundheitsfonds, wenn Studierende Krankheitskosten haben, die nicht von der Krankenkasse gedeckt werden. Wenn das medizinisch gerechtfertigt ist, dann übernimmt das Werk 70 % von diesen Kosten. Aber wir vermitteln ebenfalls an andere Organisationen.
Blecher: Ich kenne viele Studierende, die – wie ich – neben dem Studium arbeiten gehen. Wovon hängt es ab, wie viel ich dazuverdienen darf?
Gärtner: Das werden wir ganz häufig gefragt, denn in Köln arbeiten sogar 79 % neben dem Studium. Für sie ist es wichtig zu wissen: Welche Regelung trifft auf mich zu? Grundsätzlich ist es so, wer BAföG erhält, der darf nicht über die Freibeträge kommen. Wer unter 25 Jahre alt ist, muss die Familienversicherung beachten. Werkstudent*innen können 20 Stunden steuerfrei arbeiten. Und dann gibt es noch spezielle Ausnahmen von der Regel, die man kennen sollte. Dazu beraten wir.
Blecher: Welche Tipps geben Sie den Studierenden?
Gärtner: Man muss nicht sklavisch in der Familienversicherung bleiben. Wenn ich die Möglichkeit habe, meine finanziellen Probleme selbst zu lösen, und der Job inhaltlich etwas mit dem Studium zu tun hat, dann ist Jobben idealerweise eine Berufsvorbereitung. Zuerst steht also die Entscheidung: Bleibe ich in der Familienversicherung oder bezahle ich in die studentische Versicherung selbst und kann dann mehr Geld verdienen?
Blecher: Die Sozialberatung ist sehr flexibel, Sie gehen einmal in der Woche auf Tour?
Gärtner: Ja, wir versuchen neue Wege zu gehen, denn viele Studierende wissen nichts von uns oder es gibt Hemmschwellen. Deshalb wollten wir ein niederschwelliges Angebot machen. Wir suchen verschiedene Orte, wo sich viele Studierende befinden. Diese sogenannte zugehende Beratung haben wir zuerst im Studierendendorf Hürth-Efferen eingeführt und planen gerade den Ausbau. Im Studierendendorf sind von den rund 1.200 Dorfbewohner*innen über 40 % internationale Studierende.
Wir müssen meistens keine grundlegende Beratung machen, weil viel von den International Offices geleistet wird. Aber sie kommen, um Überbrückungsdarlehen in Anspruch zu nehmen. Außerdem haben wir die Freitisch-Marken, um ein kostenfreies Essen zu bekommen. Das wird häufig von internationalen Studierenden genutzt.
Blecher: Ich werde Sie auf jeden Fall weiterempfehlen.
Christian Gärtner, Diplom-Pädagoge, arbeitet seit dem 01. Februar 2018 in der Sozialberatung. Der erfahrene Sozialberater ist der erste Mann in diesem Beratungsteam, das mit seiner Neueinstellung um eine ganze Stelle erweitert wurde.
Marina Blecher studiert Online-Redaktion an der TH Köln. Neben ihrem Studium arbeitet sie als freie Mitarbeiterin und Campus-Reporterin in der Online-Redaktion des Kölner Studierendenwerks.