Interview Tatjana Jovanovic, Sachbearbeiterin Studienfinanzierung
, Matthias Ebert, Teamleiter Studienfinanzierung

Wie sozial ist der BAföG-Alltag?

Tatjana Jovanovic und Matthias Ebert nehmen sich bei einem Büro-Kaffee Zeit, um für uns eines der letzten Mysterien transparent zu machen: das BAföG.

Interview und Text: Natali Schütte | Foto: Laura Blome

Es ist der Studienfinanzierung liebstes Kind und doch immer wieder eine Black Box für alle anderen: das BAföG. Wir sind gespannt, wie sich der Umgang damit operativ gestaltet und wie der soziale Auftrag rund ums sensible Thema Geld erfüllt werden kann.

Was beinhaltet die Arbeit in der Abteilung Studienfinanzierung alles?

Jovanovic: Einen großen Teil nimmt die Beratung der Studierenden ein, beispielsweise ob ein Anspruch auf Förderung besteht und falls ja, welche Dokumente dafür einzureichen und wie sie auszufüllen sind. Inzwischen ist auch wichtig, auf welchem Wege sie am besten einzureichen sind. Der andere Teil meiner Arbeit besteht in der Bearbeitung der eingereichten Dokumente nach geltendem Recht und den entsprechenden Vorgaben.

Ebert: Mein Part beginnt nach der Vorbearbeitung der Fälle durch die Sachbearbeiter*innen. In meinem Aufgabenbereich geht es z. B. um Prüfung von Anträgen „dem Grunde nach“, also Aufenthaltstitel, Ausbildungsverlauf, bisher erworbene Abschlüsse, elternabhängige oder -unabhängige Förderung. Außerdem muss ich entscheiden, ob Verzögerungen im Studium anerkannt werden können.Das ist häufig der Fall, wenn Studierende den Leistungsnachweis nicht rechtzeitig erbringen können oder die Regelstudienzeit überschreiten. Es kommt auch vor, dass Studis nach ein, zwei Semestern merken, dass ihnen ihr Studienfach nicht liegt, sie also das Fach wechseln möchten. Das BAföG sieht für dieses Szenario einige Richtlinien vor, die eingehalten werden müssen. Dazu ist eine eingehende Beratung der Studierenden nötig, damit wir so einen Fachrichtungswechsel bewilligen können. Der Studierende darf ggf. ein neues Studium beginnen, was wiederum vom ersten bis zum letzten Semester gefördert wird. 

 

Ich hatte Akten-Berge auf Ihrem Schreibtisch erwartet, doch hier sieht man nichts davon. Bedeutet das, es ist schon alles abgearbeitet? 

Ebert (lacht): Das wäre schön! Nein, das liegt an der E-Akte. Die Papierakten werden sukzessive seit Herbst 2023 von einer Fachfirma eingescannt. Wir arbeiten verpflichtend seit Februar 2023 mit der E-Akte, also papierlos. Das Pilotprojekt der E-Akte startete im November 2021 in unserer Außenstelle in Gummersbach und wurde dort ein Jahr lang von den Kolleg*innen erprobt. Nach einer Übergangsphase von der Teil- zur Volldigitalisierung werden seit Juni 2023 sämtliche Vorgänge digital bearbeitet.

„Eine gute Beratung kann also auch dazu führen, dass unsere internen Arbeitsabläufe vereinfacht und beschleunigt werden.“
Tatjana Jovanovic

Sie erwähnten die Beratung der Studierenden als einen Kernaspekt des sozialen Auftrags. Wie kann man sich das vorstellen? Gibt es ein Recht auf Beratung oder hängt es vom Einzelfall ab, ob und wie man beraten wird?

Jovanovic: Tatsächlich gibt es eine gesetzliche Beratungspflicht gem. §41 Abs. 3 BAföG. Aber natürlich erfordert so ein komplexes Regelwerk wie das BAföG auch eingehende Erläuterungen, zumal unsere Zielgruppe junge Menschen sind, für die bürokratischer Formalismus und Gesetztestexte oft absolutes Neuland sind. Ich habe über die Jahre festgestellt, dass das Helfen und Unterstützen der Studis als auch ihrer Eltern dringend erforderlich ist, weil es bei einem großen Teil um das Verstehen bzw. Nichtverstehen der Fragestellungen in den Formblättern geht. Teils wegen fehlender Sprachkenntnisse, teils wegen fehlender Kenntnisse der amtlichen Formulierungen, meistens wegen beidem. Wir stellen aber auch fest, dass es unterschiedlich gut informierte Studis gibt. Manche nutzen die BAföG-Checkliste und das Glossar „A-Z“ auf unserer Website und haben dadurch entscheidende Vorteile, denn wenn uns ein vollständiger Antrag gesandt wird, spart das viel Zeit und die Förderung kann schneller frei gegeben werden. Eine gute Beratung kann also auch dazu führen, dass unsere internen Arbeitsabläufe vereinfacht und beschleunigt werden. So ist es aus verschiedenen Gründen geboten, die Studierenden so gut wie möglich zu beraten.

 

Verstehe, es ist also ein Prinzip von Geben und Nehmen. Worin bestehen weitere Möglichkeiten Ihrer Abteilung, die Studierenden zu unterstützen?

Ebert: Außer dem BAföG gibt es ja auch noch die Möglichkeit, über alternative Finanzierungsformen zu informieren, wie z. B. das Daka-Darlehen, ein zinsloses, vollständig zurückzuzahlendes Darlehen, das die NRW-Studierendenwerke unter vollständigem Gewinnverzicht 1953 ins Leben gerufen haben. Diese Aufgabe übernehmen spezielle dafür geschulte Mitarbeiter*innen. Bis zum Sommer 2023 bestand auch eine vertragliche Verbindung mit der KfW- Bank und deren Angebot des KfW-Studienkredits. Im Übrigen erhalten die Studierenden von uns auch professionelle Unterstützung, wenn es eine erschwerte Kommunikation mit dem Elternhaus gibt und sich persönliche Differenzen negativ auf die formellen Abläufe beim BAföG auswirken. Wir sind in der Kommunikation immer bemüht, eine niedrigschwellige Lösung zu finden, die die Arbeitsabläufe nicht verzögert. Scheitern all diese Versuche, begleiten wir die Studis durch den Prozess eines „Vorausleistungsverfahrens“. Natürlich helfen wir auch in allen anderen herausfordernden Lebenslagen wie Erkrankung, Behinderung oder Schwangerschaft während des Studiums.

Jovanovic: In meinem Arbeitsbereich mache ich den Eltern von Studierenden mit Migrationshintergrund das Angebot, beim Ausfüllen der Formblätter zu helfen. Das tue ich ganz oft und das funktioniert dann auch sehr gut. Ich schreibe die Studis an, lasse mir die Telefonnummer geben und rufe sie an. Das geht viel schneller, die Studis fühlen sich beachtet und merken, dass man sich um sie kümmert. Daraufhin erhalte ich die Unterlagen viel schneller und kann den Fall zügiger bearbeiten.

„Die meisten Studis sind aber sehr geduldig angesichts der aktuell langen Wartezeiten.“
Matthias Ebert

Wenn es mit dem BAföG mal nicht klappt oder die Bearbeitung länger dauert – erfahren Sie den Unmut der Studis unmittelbar? 

Ebert: Manchmal schon. Es kommt bei uns – wie bei anderen Studierendenwerken – seit einiger Zeit zu Verzögerungen bei der Bearbeitung von BAföG. Deshalb finde ich es verständlich, wenn es auch zu Beschwerden kommt. Das erfordert in der Kommunikation etwas Fingerspitzengefühl. Die meisten Studis sind aber sehr geduldig angesichts der aktuell langen Wartezeiten. 

 

Was können Sie Studis anbieten, die keinen Anspruch auf BAföG (mehr) haben?

Ebert: Wir zeigen ihnen Alternativen auf, wie z. B. die Beantragung von Wohngeld oder Bürgergeld. Und wir informieren über weitere Finanzierungs-Möglichkeiten wie das eben erwähnte Daka-Darlehen und den Bildungskredit des Bundes. Die meisten Studierenden haben sich auch nie mit der Idee auseinandergesetzt, sich für ein Stipendium zu bewerben. Oft hören sie durch uns von diesen Optionen zum ersten Mal.

„Ich war selber BAföG-Empfängerin, kenne also die andere Seite mit all ihren Ängsten, die Miete nicht zahlen zu können und nicht zu wissen, wovon man leben soll.“
Tatjana Jovanovic

Das Thema BAföG wird in der Politik, den Medien und unter Studierenden kontrovers diskutiert. Was müsste aus Ihrer individuellen Sicht geschehen, damit es mit dem BAföG besser läuft?

Jovanovic: Aus meiner Sicht müsste die Bearbeitung für Studis und für Sachbearbeiter vereinfacht werden! Das betrifft nicht nur den formalen Ablauf. Die Studierenden melden regelmäßig Probleme mit dem Online-Portal. Hier ergeben sich Verzögerungen durch die umständliche Übermittlung der Dokumente. Neu eingeführte Bearbeitungssysteme müssen in der Einführungsphase zielgerichtet und konsequent von regelmäßigen Schulungen und stetem Support begleitet werden, um schnellstmöglich eine routinierte und zügige Bearbeitung zu erreichen.

Ebert: Zusätzlich gibt es auch eine politische Dimension. Den Studierenden wäre besser geholfen, wenn mehr Geld vom Bundeshaushalt zur Verfügung gestellt würde, Bedarfssätze erhöht und Zugangsvoraussetzungen gelockert würden. Unser Dachverband DSW appelliert in diesen Punkten beständig an das Bundesministerium. 

 

Erlauben Sie mir abschließend eine persönliche Frage? Es scheint keine leichte Aufgabe zu sein, die Sie da tagtäglich bewältigen. Was motiviert Sie, in der Studienfinanzierung zu arbeiten?

Ebert: Es sind vor allem die sozialen Aspekte. Ich habe selber BAföG bekommen während meines Studiums und kann mich noch gut erinnern, was das für eine herausfordernde Phase im Leben war und wie sehr ich darauf angewiesen war. Heute ist mir das im Kontakt mit den Studierenden noch sehr präsent.

Jovanovic: Die Möglichkeit, jungen Menschen einen höchst qualifizierten Ausbildungsweg zu ermöglichen und konkrete Unterstützung leisten können, ist für mich der Motor für diese nicht ganz einfache Aufgabe. Ich war selber BAföG-Empfängerin, kenne also die andere Seite mit all ihren Ängsten, die Miete nicht zahlen zu können und nicht zu wissen, wovon man leben soll, wobei sich die Entwicklung über die Jahre verschärft hat (Wohnungsknappheit, Verteuerung der Lebenshaltungskosten insgesamt). Auch ich finde, dass die Bedarfssätze dringend erhöht werden müssen!

 

Herzlichen Dank Ihnen beiden, dass Sie sich die Zeit für das Interview genommen haben!

Tatjana Jovanovic arbeitet seit 2009 als Sachbearbeiterin in der Studienfinanzierung und beherrscht den täglichen Spagat zwischen Gesetzestext und den Bedürfnissen der Studierenden aus dem Effeff.

Matthias Ebert ist seit 2008 im Kölner Studierendenwerk angestellt und sorgt als Teamleiter im Bereich Studienfinanzierung für juristische Entscheidungen, reibungslose Abläufe und einen guten Spirit in seinem Team.