Interview Bernd Schlieker, stellvertretender Abteilungsleiter Hochschulgastronomie und Carolin Brink, Fachbereich Hygiene und Qualität Hochschulgastronomie

Balance halten – nachhaltige und bezahlbare Mehrweg-Lösungen

Bernd Schlieker und Carolin Brink  unterhalten sich bei Fairtrade-Bio-Kaffee aus Pfandtassen über Abfallmessung und Abfallvermeidung.

Interview und Text: Natali Schütte | Fotos: Laura Blome

Bernd Schlieker und Carolin Brink verbindet neben ihrem Interesse an der Vielfalt von Lebensmitteln das übergreifende Ziel, eine nachhaltige Hochschulgastronomie zu betreiben. Dies erfordert u. a. die Klassifizierung, Messung und vor allem Vermeidung von Abfall, der täglich in 17 gastronomischen Betrieben anfällt. An welchen Schrauben sie dafür gedreht haben, welche Innovationen sie sich haben einfallen lassen und welche Ergebnisse und Erfolge jetzt schon messbar sind, verraten sie im Interview bei einem nachhaltig produzierten und fair gehandelten Bio-Kaffee aus der Pfandtasse.

Wer Abfall reduzieren will, muss den Status Quo erheben. Wie analysieren Sie den Müll, der in den Mensen, Bistros und Kaffeebars anfällt? Gucken Sie in jede Tonne?  

 

Schlieker: Es gibt unterschiedliche Möglichkeiten der Abfallvermeidung in unseren Mensen, Bistros und Kaffeebars. In den Mensen optimieren wir bei Tellergerichten die Rezepturmengen und bieten auch Einzelkomponenten an. An den Rückgabestationen sehen wir dann die Menge der Speiseabfälle.

Brink: Zusammen mit „NEiS“ wollten wir herausfinden, wie viel des produzierten Essens am Ende des Tages eigentlich im Müll landet. Um diese Frage zu beantworten, wurden im Rahmen des Projekts MehrWert21 und des Projekts NEiS der Verbraucherzentrale NRW im Juni 2022 in der Mensa am Sportpark Müngersdorf eine Woche lang die Speiseabfälle erfasst. Dabei haben uns viele durch den AStA akquirierte studentische Helfer*innen unterstützt: Die Ausgabe- und Tellerreste wurden von ihnen registriert und ins Verhältnis zu den produzierten Speisen gesetzt. Die Daten wurden dann mit der Zahl verkaufter Essen pro Tag und den Produktionsmengen im Warenwirtschaftssystem verrechnet. Aus den Ergebnissen sollten dann Handlungsempfehlungen abgleitet werden. Allerdings stellte sich heraus, dass durchschnittlich nur 17 g Speisereste pro Person auf den Tellern übrig blieben und auch die Ausgabereste mit 1,2 % sehr gering waren. Um diese Werte zu überprüfen, führten wir im September nochmals eine Messung durch, bei der die Werte bestätigt wurden. Wir erhielten hier 20 g Speisereste pro Person. 

 

Dieses Thema interessiert doch bestimmt auch unsere umweltbewusste Zielgruppe – die Studierenden?

Schlieker: Allerdings! Wir können bei vielen Aktionen auf wertvolle Hinweise von Studierenden zurückgreifen. Da gab es in den letzten Jahren eindeutig großes Interesse.

Brink: Bei den beiden Abfallmessungen in der Mensa Am Sportpark Müngersdorf hatten wir tatkräftige Unterstützung vom AStA. Ohne Hilfe der Studierenden hätten wir die Messung gar nicht durchführen können. Da das Thema aber auf großes Interesse gestoßen ist, hatten wir auch genügend Helfer*innen. 

„Die Idee des Pfandmarken-Systems für die Kaffeetassen kam übrigens von einem Studierenden.“
Bernd Schlieker

Das klingt sehr spannend. Haben Sie ein solches Projekt auch in einer anderen Mensa geplant?

Brink: Ja, nachdem wir die Messung mit erfolgreichen Ergebnissen in der Mensa Am Sportpark Müngersdorf zweimal durchgeführt hatten, wollten wir Vergleichswerte aus anderen Betrieben erheben. Daher läuft bis Ende Juli 2023 eine Messung in der Mensa Lindenthal. Hier wird nicht nur für eine, sondern gleich für sechs Wochen gemessen – das entspricht einem kompletten Speiseplan-Zyklus. Wir sind gespannt, was die Ergebnisse liefern werden. An diesem Standort haben wir eine andere Zielgruppe: Keine besonders hungrigen Sportler*innen, sondern einen durchschnittlichen Kreis Studierender. Mal sehen, ob das einen großen Unterschied ergeben wird.

 

Echte Nachhaltigkeit erreicht man ja nicht mit einer One-way-Aktion. Wie bindet die Hochschulgastronomie die Studierenden in das Thema ein?

Brink: Das stimmt. Anfang 2020 führten wir unsere Werks-Mehrwegbowl ein und erweiterten 2022 das Konzept um die eigene Box, die zum Befüllen mitgebracht werden kann. So haben unsere Gäste die Wahl zwischen Einweg und Mehrweg. Unsere Werksbowl sowie „Bring your own box“ werden mittlerweile immer mehr angenommen. Das gleiche Konzept haben wir tatsächlich auch für Kaffeebecher eingeführt. „Bring your own cup“ bedeutet, dass weniger Einwegbecher in den Abfallkreislauf eingespeist werden und vermehrt auf den eigenen Thermobecher zurückgegriffen wird. So kann mit der Pfandtasse oder dem eigenen Becher der Kaffee mit in den nächsten Hörsaal genommen und später wieder zurückgetauscht werden.

Schlieker: Wichtig ist uns dabei die Balance zwischen einer nachhaltigen Mehrweg-Idee und der bezahlbaren Lösung für unsere Gäste. Mit „Bring your own box/cup“ ergänzen wir unsere Werks-Bowl und unsere Kaffeetasse. Die Kosten für App-basierte Mehrwegsysteme wollen wir so erstmal vermeiden. Der Erfolg unserer Werks-Bowl hat uns in kürzester Zeit Recht gegeben und die bisherige Einweg-Variante im To-go-Bereich weitgehend abgelöst.

Die Idee des Pfandmarken-Systems für die Kaffeetassen kam übrigens von einem Studierenden. 

„»Was kann bei der Verpackung, im Einkauf und im Verkauf wie ersetzt werden?« ist dabei die entscheidende Frage.“
Bernd Schlieker

Eine tolle Idee! Haben Sie noch weitere wirkungsvolle Maßnahmen auf den Weg gebracht, um vermeidbaren Abfall einzudämmen?

Schlieker: In den Mensen ersetzen wir verpacktes Dessert –  wie Joghurt – immer mehr durch produzierte Desserts in Mehrwegschalen und Obst. Für den Gast ist damit die Mitnahme nicht mehr möglich, denn für uns steht die Abfallvermeidung ganz klar im Vordergrund. Zusätzlich haben wir das Einwegbesteck abgeschafft.

 

Schauen wir einmal hinter die Kulissen der Großküchen: Wie werden interne Abläufe im Sinne eines modernen Abfall-Managements modifiziert?

Brink: Wir versuchen generell, die Lebensmittelabfälle gering zu halten, indem wir den Wareneinsatz so gut es geht an die äußeren Bedingungen anpassen. Wir wissen beispielsweise, dass an einem Freitag weniger Gäste bei uns speisen als an einem Dienstag oder Mittwoch. Wenn Projektwochen an einer Fakultät stattfinden und wir darüber informiert wurden, kochen wir in der Woche für weniger Gäste. Viele Gerichte kann man just in time nachproduzieren und vermeidet eine Überproduktion. Zudem versuchen wir immer, unsere Waren so zu bestellen, dass wir sie im Großgebinde erhalten. Frischhaltefolie wird durch Deckel ersetzt, Alufolie wurde aus den Betrieben komplett verbannt und da, wo man sie wirklich braucht, durch Wachsfolie ersetzt. 

Schlieker: Im Verkaufsbereich gibt es durch die Vorgaben des Gesetzgebers zahlreiche nachhaltige Verpackungsideen. Da hat sich in den letzten Jahren viel getan. Zusätzlich müssen aber auch interne Prozesse in der Produktion auf Nachhaltigkeit überprüft werden. „Was kann bei der Verpackung, im Einkauf und im Verkauf wie ersetzt werden?“ ist dabei die entscheidende Frage.    

„Für die meisten nachhaltigen Maßnahmen gibt es ein positives Feedback, Ausnahmen gibt es innerhalb der eigenen Komfortzone.“
Bernd Schlieker

Nun gibt es ja bundesweit 57 Studierendenwerke, davon allein in NRW ein Dutzend. Erfindet da jede Hochschulgastronomie das Rad neu? Oder existieren überregionale Konzepte zum gemeinsamen Thema Müllvermeidung?

Brink: Oh ja! Die zwölf Studierendenwerke in NRW haben einstimmig ein starkes Zeichen für eine nachhaltige Ausrichtung gesetzt: Bis 2030 wollen wir klimaneutral werden! Hierfür wird ein sogenannter „Corporate Carbon Footprint“ erstellt, der regelmäßig die verantworteten Treibhausgasemissionen im Unternehmen erfasst. Um diese dann Schritt für Schritt zu verringern, wollen wir unter anderem Lebensmittelabfälle, Überproduktion sowie Verpackungsmüll reduzieren.

 

Gerade unsere angehenden Akademiker*innen sind sehr sensibel für das Thema Nachhaltigkeit. Wie ist das Feedback der Studierenden auf diese Maßnahmen?

Schlieker: Für die meisten nachhaltigen Maßnahmen gibt es ein positives Feedback, Ausnahmen gibt es innerhalb der eigenen Komfortzone. Vor einigen Jahren gab es beispielsweise Diskussionen um die Deckel von Einweg-Kaffeebechern, die wir gerne abschaffen wollten. In den Betrieben gab es Beschwerden von Gästen gegen diese Maßnahme, wir haben sie dann nur auf Anforderung an der Kasse ausgegeben. 

 Brink: Gerade bei dem Thema merkt man, dass unsere Studierenden eine sehr heterogene Gruppe sind. Die einen wollen unbedingt, dass das gesamte Sortiment vegan, regional und saisonal ist, andere wollen bei uns gerne Fleisch für einen erschwinglichen Preis essen. Aber in der Gesamtbetrachtung merken wir durch das Feedback und Kundenanfragen, dass die Nachfrage nach vegan/vegetarischen Speisen sowie das Knowhow zum Thema Nachhaltigkeit stetig zunimmt.

„Es sind mittlerweile über 50 % unserer Gerichte vegan/vegetarisch. In einigen Betrieben verkaufen wir sogar über 75 % rein vegan/vegetarische Speisen.“
Carolin Brink

Das ist interessant! Die Mensen, Bistros und Kaffeebars werden ja von verschiedenen Generationen Studierender besucht. Verändert sich mit den neueren Generationen auch das Umwelt-Bewusstsein? Gibt es Kennzahlen, die einen Wandel einläuten?

Brink: Der Anstieg am Interesse veganer/vegetarischer Speisen ist deutlich zu sehen. Daher haben wir unseren Speiseplan daran angepasst: Es sind mittlerweile über 50 % unserer Gerichte vegan/vegetarisch. In einigen Betrieben verkaufen wir sogar über 75 % rein vegan/vegetarische Speisen. Immer öfter wird unser Fleischangebot kritisch hinterfragt. Allerdings darf man nicht vergessen, dass unsere Gäste – wie erwähnt – eine sehr heterogene Gruppe sind. Man hat immer eine Tendenz, aber man wird es nie allen recht machen können. Aktuell geht die Tendenz deutlich in Richtung vegan/vegetarisch und qualitativ hochwertigem regionalem Fleisch aus artgerechter Tierhaltung.

Schlieker: Bei den Kaffeebars ist der Hafermilchkaffee nicht mehr wegzudenken und die Kuhmilch klar rückläufig. Auch beim Kuchen sind alle Sorten unseres Bananenbrotes beliebter als die klassischen Kuchen. Wir beziehen unser Bananenbrot von einem Startup, das aus Bananen mit „ästhetischen Mängeln“, die von Supermärkten deshalb aussortiert werden, Bananenbrot backt und sie so vor der Entsorgung bewahrt. 

Brink: Außerdem fallen viele Kundenrückmeldungen in die Rubrik Nachhaltigkeit. Gerade, wenn an Uni oder TH Projektwochen stattfinden, haben sich zum Beispiel 2022 viele mit dem Aspekt Nachhaltigkeit beschäftigt und wollten von uns wissen, was wir diesbezüglich in unseren Betrieben umsetzen. 

Es wird nicht nur nachgefragt, was wir für die Nachhaltigkeit tun, sondern es gibt auch Anregungen und Verbesserungsvorschläge von Seiten der Studierenden. Allerdings sind diese nicht immer umsetzbar. Aber wir versuchen so oft wie möglich, diese bei Entscheidungen über das Speisenangebot zu berücksichtigen. 

„Es wird nicht nur nachgefragt, was wir für die Nachhaltigkeit tun, sondern es gibt auch Anregungen und Verbesserungsvorschläge von Seiten der Studierenden.“
Carolin Brink

Das sind gute Nachrichten. Was kann das Werk künftigen Erstsemestern von Tag eins ihrer Hochschulzeit an mit auf den Weg geben, um sich in den gastronomischen Betrieben des Werks nachhaltig zu verhalten?

Brink: Wir möchten ein kleines „How-to-Mensa“-Einmaleins in Zusammenarbeit mit unserer Unternehmenskommunikation und Studierenden erarbeiten. Dieses kann dann immer zu Semesterstart über die Fachschaften an die Erstsemester kommuniziert werden. Darin werden die Studierenden unter anderem darüber aufgeklärt, dass man sich – wenn der Hunger nicht so groß oder es im Sommer richtig heiß ist – entweder nur am Salatbüffet bedient oder an den Ausgaben zum Beispiel nur zwei Beilagen bestellen kann. 

Das Pfandsystem der Werksbowls und -tassen sowie Bring your own box & cup sollen darin erklärt werden und vieles mehr!

Schlieker: Wir bewerben Aktionen der Hochschulgastronomie seit einigen Jahren auf unserer Website und auf Instagram sowie auf Facebook. Da gibt es also viele nachhaltige Infos zum Semesterstart. Zusätzlich beantworten wir natürlich auf unserer Homepage alle FAQs unserer Studis.

 

Danke für das spannende und lehrreiche Interview!

Schlieker und Brink: Wir danken für die interessanten Fragen!

Bernd Schlieker ist seit 2013 stellvertretender Abteilungsleiter der Hochschulgastronomie des Kölner Studierendenwerks. 

Als Hotelbetriebswirt wechselte er nach zehn Berufsjahren ins Studierendenwerk und begleitet seitdem als Bereichsleiter viele neue Projekte.

Carolin Brink ist seit September 2020 im Fachbereich Hygiene und Qualität Hochschulgastronomie als Ökotrophologin tätig. Neben der Begeisterung für die Qualitätssicherung und die bunte Vielfalt der Lebensmittel findet auch noch das Interesse an den aktuellen Entwicklungen der Nachhaltigkeit Platz.